Veranstaltung: | Landesdelegiertenversammlung am 7. & 8. Dezember 2024 in Idar-Oberstein |
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Tagesordnungspunkt: | 6 Anträge II |
Antragsteller*in: | Carl-Bernhard von Heusinger (KV Koblenz) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 02.11.2024, 11:04 |
A-4: Rheinland-Pfalz krisenfest machen
Antragstext
Die zunehmenden Extremwetter sind Folgen der sich verschärfenden Klimakrise und
bringen uns immer stärker an unsere Belastungsgrenzen. Allein in Deutschland
sind nach einer Studie im Auftrag der GRÜNEN Bundestagsfraktion 400.000 Menschen
von Hochwasser bedroht. Aber auch Waldbrände, extreme Hitze, Wasserknappheit
oder hybride Bedrohungen und damit verbundene Angriffe auf unsere kritische
Infrastruktur, wie Strom- oder Funknetze, Kraftwerke, Einrichtungen zur
Trinkwasserversorgung oder zentrale Wirtschaftsbereiche werden immer öfter zu
einer konkreten Gefahr für die Menschen.
In Rheinland-Pfalz haben wir aus den Erfahrungen der Flutkatastrophe im Juli
2021 schmerzhaft lernen müssen, mit welcher Wucht auch unsere moderne
Gesellschaft getroffen werden kann. Unter GRÜNER Führung hat die Enquete-
Kommission des Landtages Rheinland-Pfalz, mit der Hilfe von zahlreichen
Expert:innen, konkrete Empfehlungen für eine stärkere Resilienz gegenüber
Extremwetterereignissen, dem Schutz von Menschen und Sachwerten sowie zur
Sensibilisierung und Verbesserung der Warnung der Bevölkerung erarbeitet.
Unsere gemeinsame Aufgabe ist es, unser Land, unsere Städte und Gemeinden sowie
unsere Gesellschaft auf Grundlage dieser Erkenntnisse insgesamt resilient zu
machen und sie gezielt auf die wachsenden Bedrohungen vorzubereiten. Dieser
Prozess reicht von strategischen, gesamtgesellschaftlich getragenen
Großprojekten wie dem Umbau einer dezentralen und von fossilen Energieträgern
unabhängigen Energieversorgung bis hin zum konkreten Bevölkerungsschutz im
Krisenfall.
Bevölkerungsschutz bedeutet dabei, nicht nur auf Krisen zu reagieren, sondern
durch vorausschauende Planung Risiken frühzeitig zu erkennen und zu mindern. Als
Gemeinschaftsaufgabe muss er alle relevanten Akteur:innen, Einrichtungen und
Behörden in einem starken Netzwerk vereinen – auf kommunaler, Landes- &
Bundesebene und über die nationalen Grenzen hinaus. Zudem bedeutet dies, dass
wir unsere Gesellschaft insgesamt krisenresilient aufstellen und befähigen im
Katastrophenfall richtig zu reagieren. Die Grundlage für unseren
Bevölkerungsschutz bildet die fortlaufende Anpassung an neue wissenschaftliche
Erkenntnisse und Erfahrungen aus vorangegangenen Krisenfällen sowie die präzise
Analyse von Gefahren, um auf die dynamischen und zunehmend komplexen
Bedrohungslagen angemessen reagieren zu können.
Katastrophen werden vor Ort gemeistert. Deshalb setzen wir uns dafür ein, unsere
Städte und Kommunen bei der Planung und Vorsorge umfassend zu unterstützen. Die
Hauptamtlichkeit unserer Brand- und Katastrophenschutzinspekteur:innen ist dabei
ein wichtiger erster Schritt. Auch die Ausstattung unserer Feuerwehren und
Hilfsorganisationen muss an den tatsächlichen Aufgaben orientiert werden. Auf
Landesebene fordern wir eine flexiblere Beschaffung von Schutzausrüstung,
Geräten und Fahrzeugen, um den lokalen Einsatzkräften die notwendige Sicherheit
und Effektivität zu garantieren.
Ein weiterer zentraler Schlüssel zur Bewältigung von Großlagen ist eine
ineinandergreifende Alarm- und Einsatzplanung auf allen Ebenen. Wir begrüßen die
nun gesetzlich verankerten Gefahren- und Risikoanalysen sowie die koordinierte
Abstimmung durch Landkreise und kreisfreie Städte. Diese Planung muss durch das
Land personell und organisatorisch unterstützt und kontrolliert werden, um eine
wirksame Umsetzung sicherzustellen.
Zudem fordern wir die Einführung regelmäßiger Bürgerbeteiligungsformate auf
kommunaler Ebene, bei denen Anwohner:innen in die Erstellung und Überarbeitung
von Katastrophen- und Evakuierungsplänen einbezogen werden. Auf diese Weise
sollen lokale Schwachstellen identifiziert und das Vertrauen in die getroffenen
Vorsorgemaßnahmen gestärkt werden. Auch ermöglichen Sie ein
gesamtgesellschaftliches Lernen, was maßgeblich zu einer gesellschaftlichen
Resilienz beitragen kann.
Besonders im Bereich der Hochwasser- und Starkregenvorsorge muss vorausschauend
geplant werden. In allen Kommunen sind örtliche Konzepte notwendig, die
kontinuierlich fortgeschrieben und umgesetzt werden. Interkommunale
Zusammenschlüsse sowie Gemeinde-, Kreis- und Landesgrenzen überschreitende
Kooperationen zwischen Ober- und Unterliegern sind hierbei zentrale Bausteine.
In besonders gefährdeten Gebieten fordern wir die Einrichtung von überregionalen
Zweckverbänden zur Umsetzung der Maßnahmen. Rheinland-Pfalz bietet mit dem
digitalen Hydrozwilling (VISDOM RLP) eine wertvolle Grundlage, um die Risiken
von Sturzfluten und Flusshochwasser sichtbar zu machen. Mit den bereits
veröffentlichten Sturzflutgefahrenkarten stellt die Umweltverwaltung landesweit
Informationen zur Sturzflutgefährdung zur Verfügung. Diese Karten bilden die
Überflutungsgefährdung abseits der großen Gewässer infolge von kleinräumigen
Starkregenereignissen ab. Sie zeigen die Wassertiefen, die
Fließgeschwindigkeiten und die Fließrichtungen von oberflächlich abfließendem
Wasser infolge von Starkregenereignissen für unterschiedliche Szenarien – auch
innerorts. Damit stellt das Land für die Vorbereitung auf den Katastrophenfall
wichtige Informationen bereit. Bei den Maßnahmen setzen wir sowohl auf die
technische als auch natürliche Hochwasservorsorge. Letztere muss sowohl im
Innenbereich über das Prinzip der “Schwammstädte” als auch im Außenbereich über
Renaturierungsmaßnahmen sowie Anpassungen in der Land- und Forstwirtschaft ihre
Anwendung finden. Zentral ist, dass das Wasser besser an Ort und Stelle
versickern kann und so Hochwasserspitzen abgefedert werden. Hierbei helfen
gerade an großen Flüssen auch Polder und Reserveräume. Um Synergieeffekte mit
dem Naturschutz zu erzielen, müssen ergänzend weiterhin alle Möglichkeiten zur
Rückversetzung von Deichen und der Reaktivierung von Auen genutzt werden.
Die Bundesregierung plant zudem, mit dem neuen Hochwasserschutzgesetz Städten
und Gemeinden zu ermöglichen, spezielle Gefahrengebiete in
Überschwemmungsgebieten auszuweisen. Genehmigungsverfahren für
Hochwasserschutzanlagen sollen beschleunigt werden. Bei der Planung und dem Bau
von Gebäuden und Infrastruktur setzen wir uns für eine stärkere Berücksichtigung
von Hochwasser- und Starkregenvorsorge ein. Hierbei muss auch der Dialog mit
Grundstückseigentümer:innen intensiviert werden. Für den Konfliktfall, etwa beim
Erwerb von Flächen für Schutzanlagen, sind klare Regelungen erforderlich. Auf
Landesebene hat das Umweltministerium mit dem 7-Punkte-Plan zur Verbesserung der
Hochwasservorsorge ein Arbeitsprogramm entwickelt, vorgestellt und bereits
teilweise umgesetzt. Diese Umsetzung wollen wir auch in den kommenden Jahren
konzentriert weiter vorantreiben.
Bei der Sicherung der Trinkwasserversorgung gilt es auf Hitze- und Dürrewellen
und die daraus abnehmende Grundwasserneubildung zu reagieren. Die
Landesregierung fördert den Aufbau einer resilienten Trinkwasserversorgung mit
einem Sonderprogramm von 30 Millionen Euro. Ziel des Programms ist, dass
Trinkwasser auch in Notfallsituationen aus der Leitung kommt. Gefördert werden
Verbundleitungen und Investitionen in die Infrastruktur in Zusammenschlüssen von
Wasserversorgern. Das Umweltministerium hat kürzlich mit dem „Zukunftsplan
Wasser Rheinland-Pfalz“ ein umfassendes Arbeitsprogramm auch zur
klimawandelfesten Sicherung der Trinkwasserversorgung vorgestellt, dass es in
den kommenden Jahren und Jahrzehnten umzusetzen gilt. Mit dem
Wasserversorgungsplan II arbeitet das Umweltministerium zudem an einem
Stresstest für die Wasserversorgung der Zukunft in unterschiedlichen Szenarien
wie einem weiteren Rückgang der Grundwasserneubildung in Folge des Klimawandels,
einer Zunahme des Pro-Kopf-Verbrauchs und einer zunehmenden
Bevölkerungsentwicklung.
Im Katastrophenfall muss unsere Gesellschaft nicht nur handlungsfähig sein,
sondern auch auf eine nachhaltige, vorausschauende Planung setzen.
Handlungswissen muss frühzeitig vermittelt und regelmäßig aufgefrischt werden,
um im Ernstfall abgerufen werden zu können. Wir setzen uns für flächendeckende
Schulungsprogramme auf kommunaler Ebene ein, die die Bevölkerung und
Entscheidungsträger:innen auf Krisensituationen vorbereiten und die
Selbsthilfefähigkeiten der Menschen stärkt.
Technologie spielt eine entscheidende Rolle im Katastrophenschutz, doch aus
unserer Sicht muss sie auch nachhaltig und ressourcenschonend sein. Wir fordern
eine umfassende digitale Vernetzung der Katastrophenschutzeinheiten, wobei ein
kontinuierlich aktualisiertes Lagebild sowie automatisierte Lagebewertungen im
Mittelpunkt stehen. Die Stärkung der Integrierten Leitstellen mit Hilfe moderner
Technologien, wie Künstlicher Intelligenz zur Notrufbearbeitung, ist ein
weiteres zentrales Element. Ein Modellprojekt in Ludwigshafen liefert dazu
wertvolle Erkenntnisse.
Die schnelle Warnung der Bevölkerung muss präzise und verständlich erfolgen. Ein
umfassender Warnmittelmix, von Cell Broadcast über MoWaS bis hin zu einem
landesweiten Sirenennetz, ist ein wichtiger Schritt, doch das allein reicht
nicht. Warnungen müssen verständlich und nachvollziehbar kommuniziert werden, um
richtiges Verhalten zu fördern. Wir setzen uns dafür ein, dass verpflichtende
Informationsveranstaltungen für Amtsträger:innen durchgeführt werden, um die
Kommunikation und die ortsgenaue Verbreitung von Warnungen zu verbessern.
Wir setzen uns dafür ein, dass Katastrophenschutzmaßnahmen und Warnsysteme
inklusiv und barrierefrei gestaltet werden, sodass auch Menschen mit Behinderung
und sozial benachteiligte Menschen adäquaten Schutz und Zugang zu wichtigen
Informationen erhalten. Dies umfasst beispielsweise barrierefreie
Evakuierungspläne und Informationen in leichter Sprache oder Gebärdensprache.
Ehrenamtliche Helfer:innen bilden das Rückgrat unseres Bevölkerungsschutzes.
Feuerwehr, THW und andere Hilfsorganisationen leisten unschätzbare Arbeit, die
eine breite gesellschaftliche Anerkennung verdient. Wir fordern eine
unbürokratische Freistellung von Ehrenamtlichen im Einsatzfall, bei voller
Lohnfortzahlung, damit niemand aufgrund von arbeitsrechtlichen Hürden vom
Engagement abgeschreckt wird.
Unterschiedliche gesetzliche Regelungen führen zu einer Ungleichbehandlung von
Helfenden besonders im Zusammenwirken der anerkannten Hilfsorganisationen und
den staatlichen Organisationen im Einsatz. Wir fordern für Einsatzkräfte der
Hilfsorganisationen eine bundesweite einheitliche Regelung, welche auch in
Einsatzfällen ohne Feststellung des Katastrophenfalles, für jeden offiziellen
alarmierten Einsatz die unbürokratische und verlässliche Ausgangsbedingungen
schafft.
Spontanhelfende sind eine wertvolle Ergänzung zu den organisierten Kräften und
übernehmen wichtige Aufgaben außerhalb der Gefahrenzonen. Die Koordination
dieser Helfenden muss durch digitale Plattformen und Apps unterstützt werden.
Führungskräfte sollten darüber hinaus spezielle Schulungen erhalten, um
Spontanhelfende sicher und effektiv zu integrieren. Die Presse- und
Öffentlichkeitsarbeit spielt hier eine entscheidende Rolle, insbesondere durch
den Einsatz sozialer Netzwerke, um spontane Hilfsaktionen zu koordinieren.
Selbsthilfe und Vorsorge müssen auf allen Ebenen gefördert werden, um die
Resilienz der Bevölkerung zu stärken. Wir setzen uns dafür ein, dass Hinweise
zum Verhalten bei Katastrophen an öffentlichen Plätzen, in Hotels und
Unternehmen sichtbar gemacht werden. Zudem wollen wir, dass Bürger:innen durch
regelmäßige Informationsveranstaltungen besser vorbereitet werden. Unsere
Schulen spielen dabei eine zentrale Rolle: Durch praxisnahe Unterrichtsbeispiele
und gemeinsame Übungen mit Ortsfeuerwehren können Schüler:innen wichtige
Multiplikator:innen in ihren Gemeinden werden.
Um die Bedeutung des Bevölkerungsschutzes noch stärker ins Bewusstsein der
Gesellschaft zu rücken, setzen wir uns für die Einführung eines jährlichen
Katastrophenschutztages ein. Dieser Tag soll genutzt werden, um durch
Schulungen, Übungen und Informationsveranstaltungen das Wissen über
Vorsorgemaßnahmen zu erweitern und das Engagement für den Bevölkerungsschutz zu
fördern.
Innere und äußere Sicherheit sind schon lange stark miteinander verbunden und
dürfen nicht länger getrennt voneinander betrachtet werden. Die ohnehin hohen
Bedrohungen haben sich durch Russlands völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen
die Ukraine weiter verschärft. Seit Beginn dieses Krieges geraten unsere
Kritischen Infrastrukturen – und damit die zentralen Elemente unseres
gesellschaftlichen Zusammenlebens – zunehmend ins Visier autoritärer Staaten.
Gezielte Sabotageakte, Cyberangriffe, oder das Ausspionieren zentraler
Einrichtungen, gehören längst zur Tagesordnung. Ziel solcher Aktionen ist es,
Unsicherheit zu stiften und zu zeigen, was im Ernstfall drohen könnte.
Auf Bundesebene ist - vor diesem Hintergrund - ein KRITIS-Dachgesetz, das klare
und einheitliche Vorgaben für den physischen und digitalen Schutz kritischer
Infrastrukturen auf allen Ebenen schafft, längst überfällig. Dieses Gesetz muss
den Ländern und Kommunen die notwendigen Ressourcen und rechtlichen Grundlagen
bieten, um unsere Kritischen Infrastrukturen effektiv abzusichern. Insbesondere
Cyberangriffe stellen unsere Unternehmen und öffentlichen Verwaltungen vor große
Herausforderungen. Gesetzliche Vorgaben sollten daher auch für die öffentliche
Verwaltungen gelten. Darüber hinaus braucht es eine Reduzierung von
Abhängigkeiten, mit der Priorisierung von freier und offener Software,
verbessern wir staatliche Souveränität.
Gerade beim KRITIS-Schutz braucht es ein gutes Zusammenspiel von
Sicherheitsbehörden und Privatwirtschaft im föderalen System. Dazu gehört auch
die Pflicht der Betreiber, in Klimaanpassung und Cybersicherheit zu investieren,
unterstützt durch staatliche Förderprogramme. Wir wollen sicherstellen, dass
Versorgungs- und Kommunikationsnetze nicht nur sicher, sondern auch klimaneutral
und widerstandsfähig gegenüber den Folgen des Klimawandels werden. Anbieter aus
autoritären Staaten sollten aus Telekommunikationsnetzen schnellstmöglich
verbannt werden. Den Ankauf von außereuropäischer Kritischer Infrastruktur
wollen wir einschränken und der EU-Kommission Möglichkeiten geben, diese im
Zweifel zu unterbinden.
Begründung
Antragsteller:innen: Carl-Bernhard von Heusinger (KV Koblenz, Lea Heidbreder (KV Landau), Misbah Khan, KV Bad Dürkheim) Katrin Eder (KV Mainz)
Unterstützer*innen
- Nathalie Cramme- Hill (KV Trier)
- Paul Bunjes (KV Kaiserslautern)
- Katharina Binz (KV Mainz)
- Pia Schellhammer (KV Mainz-Bingen)
- Julian Joswig (KV Rhein-Hunsrück)
- Lea Siegfried (KV Kaiserslautern)
- Armin Grau (KV Rhein-Pfalz)
- Josef Winkler (KV Rhein-Lahn)
- Verena Örenbas (KV Bad-Neuenahr-Ahrweiler)
- Christoph Wagner (KV Mayen-Koblenz)
- Ingrid Bäumler (KV Cochem-Zell)
- Rebecca Stallbaumer (KV Mayen-Koblenz)
- Jutta Blatzheim-Roegler (KV Cochem-Zell)
- Gordon Gniewosz (KV Koblenz)
- Claudia Leibrock (KV Altenkirchen)
- Thomas Hildner (KV Mayen Koblenz)
- Benita Marker (KV Mayen-Koblenz)
- Martin Schykowski (KV Mainz-Bingen)
- Sebastian Kusche (KV Mainz)
- Michael Lichter (KV Trier)
- Maurice Kuhn (KV Rhein-Pfalz)
- Marc-Andre Pantea (KV Gernersheim)
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